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AutorenbildThomas Kammel

Überirdischer Chorgesang – wie ist das nur möglich?

Neuer Kammerchor Heidenheim brilliert in Obermedlingen

60 Stimmen verschmelzen zu einer Stimme – wie geht das? Perfektes Training alleine reicht da nicht, da braucht es auch eines ganz besonderen Sensus, den Thomas Kammel bei den 14 - 20Jährigen Schülern und Schülerinnen entfacht. Ist es die Macht der Suggestion, ist es eine starke Vision, ist es das ganz besondere Händchen für den Gruppengeist? À propos: so diese 60 jungen Leute beim Chorgesang miteinander verschmelzen und in eine höhere Einheit gelangen, wirken sie anders als bei anderen Formen der „Vermassung“ das Gegenteil von anonym und austauschbar. Vielmehr beginnt das Persönliche und Menschliche intensiv aufzuleuchten. Das kann man sehen, das kann man vor allem hören.


Chorgesang vom Allerfeinsten, von ebenso kerniger wie „sahniger“ Stimmgebung sowie einer regenbogenhaft farbenreichen Klangpalette (...)

Chorgesang vom Allerfeinsten, von ebenso kerniger wie „sahniger“ Stimmgebung sowie einer regenbogenhaft farbenreichen Klangpalette, die selbst bei Profichören kaum so ausgeprägt zu finden sind! Bis ins letzte Detail ausgearbeitet sind die Intonation, die Dynamik, die Vokalfarben, die Artikulation eines jedes Wortes und nicht zuletzt die Expressivität und organische Gestaltung der Spannungsbögen eines jeden Stückes.

Mal eine blaße Stelle, ein Durchhänger, eine Wackelpassage? Fehlanzeige! Die rund 250 Zuhörer und Zuhörerinnen erlebten in der Kirche Mariä Himmelfahrt in Obermedlingen am Sonntagabend aber nicht nur ein in technischer und musikalischer Hinsicht außergewöhnliches, sie erlebten ein durchgehend zu Herzen gehendes Konzert, wie sie es am Ende in heftigen Beifällen auch bekundeten.


Staunend gewahrten und genossen sie mit dem in diesem Maße und erst recht für Jugendliche extrem seltenen „Chor-Können“ auch eine Leidenschaft und Authentizität, wie sie wohl nur ganz jungen Menschen zu eigen ist. Die Ergriffenheit hiervon wurde nicht zuletzt im Durchatmen der Zuhörer nach jedem Stück deutlich. Das gesamte Konzert durchzog eine positive Grundspannung, eine mitreißende Agilität und eine anrührende Innigkeit. Dazu paßt es, daß eine Fünfzehnjährige hinterher auf das Lob, es sei so schön gewesen zuzuhören, erwiderte: „Ja, aber es ist noch viel schöner, das zu singen!“ Chorleiter Thomas Kammel, der das Konzert auch moderierte, brachte es auf den Punkt: „Es erstaunt mich immer wieder, was man mit jungen Leuten alles machen kann.“ Daß er mit dem Chor lediglich 3-4 Stunden pro Woche probt und gerade mal eine 3 Tage währende Chorfreizeit in die Vorbereitung dieses Konzertprogramms steckte, ist eine schlicht unglaubliche Glanzleistung. An die Beständigkeit des (Schüler!-)Chores durch Corona hindurch mit kleinbesetzten Proben und Konzertsingen mit Maske erst gar nicht zu denken. Höchsten Respekt vor dem Dirigenten und Pädagogen Thomas Kammel und ebenso höchsten Respekt vor den 40 Schülerinnen und 20 Schülern, die hier enorm Zeit und Herzblut reinstecken und wohl spüren, daß sie am Schiller-Gymnasium in Heidenheim einen selten genialen Chorleiter haben!



Hat man den „Neuen Kammerchor Heidenheim“ einmal gehört, wundert man sich nicht über die zahlreichen Preise, mit denen er bei internationalen Chorwettbewerben ausgezeichnet wurde. Erst vor kurzem wurde er enthusiastisch gefeiert bei seiner Konzertreise in Irland.


Schon der Einstieg des Konzertes in Obermedlingen ging mit John Rutters „All things bright and beautiful“ unter die Haut. Es folgten vier Klassiker von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Bei „Jauchzet dem Herrn alle Welt“ stach zusätzlich ein aus dem Chor nach vorne getretenes Solistenoktett hervor.

In Daniel Elders „Lullaby“ berückte der Chor durch unerhörte Zartheit - zum Dahinschweben.

Eine weitere kostbare Phase brachte die Verteilung der Sänger und Sängerinnen im gesamten Kirchenraum. Sich von Giovanni Bonatos „Genuit puerpera“ und Knut Nystedts „Immortal Bach“ sozusagen „eingarnen“ zu lassen ergab eine mit Worten nicht darstellbare Wonne. Auch bei drei Spirituals mit Polyrhythmik und raffinierten sechsstimmigen Harmoniefolgen traf der Chor voll ins Schwarze.

Ebenso eindrücklich gelangen auch die weiteren Werke. Allein die internationalen Namen der Komponisten mögen das weite Literaturspektrum dieses phantastischen Jugendchores illustrieren. Diese waren, außer den bereits genannten: Javier Busto, Maurice Duruflé, James Erb, Sören Gieseler, Nikolai Kadrov, Sergei Rachmaninov, Arnold Sevier und Michael Stauss.


Neben anspruchsvoller a-cappella-Chormusik gab es auch solche mit Flügel, welchen Frau Alwina Meissner, Korrepetitoren am Ulmer Theater so professionell und einfühlsam spielte, wie es dem höchstsensibilisierten Chor nur entgegenkommen mußte.


Der Neue Kammerchor Heidenheim hat ein Konzert hingelegt, welches ein unglaubliches Können sowie eine seltene Konzentration und Hingabe offenbarte und dabei ein großes Stück „Paradies“ aufscheinen ließ.



Text: Gregor Simon, Obermarchtal den 15.07.2022

Fotos: Andreas Dierolf, Heidenheim



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