Heidenheimer Zeitung
Mo 30.10.2023
Kultur: Anspruch und Können: Der Neue Kammerchor Heidenheim hatte den Universitätschor München zu Gast. Beide rissen das Publikum in der Waldorfschule mir.
„Wenn Bayern München nach Heidenheim kommen kann, dann kann ja auch Musik aus München nach Heidenheim kommen“, so begrüßte Thomas Kammel das Publikum am Samstagabend in der Waldorfschule. Und er verhehlte nicht seinen Stolz angesichts des Gastchores: Der Universitätschor München machte auf seiner Tournee „Zugvögel“ Halt in Heidenheim und präsentierte mit „Animalia“ ein tatsächlich tierisches und tierisch gutes Programm. Allein schon sein Auftreten machte Eindruck: Es schien gar kein Ende mehr zu nehmen mit Sängerinnen und Sängern, die da auf die Bühne schritten. Und die über 80 Mitglieder des Universitätschores unter der Leitung von Anna Verena Egger zeigten – da hatte Thomas Kammel nicht zu viel versprochen – ein wirklich beeindruckendes Programm, in dem nicht nur virtuose Stimmführung bewiesen wurde: In „Little Birds“ beispielsweise gab es neben Vogelgezwitscher auch Tirilieren mit melodischem Pfeifen und Flügelschläge mittels Blätterrauschen. Ein großartiger Einstieg – und auch der weitere Vortrag blieb anspruchsvoll und respekteinflößend.
Ordentlich Gezwitscher
Und natürlich tierisch: Da gab es weitere Vögel mit geradezu expressionistischem Gezwitscher in „Le chant des Oyseaux“, ein unschuldiges Lämmchen in „The Lamb“ neben einem schon nicht mehr ganz ruhigen, sondern sehr energiegeladenen „Tyger“ und dann wieder ganz idyllische „Vögele im Tannewald“ von Friedrich Silcher – wann hätte er sich je im Programm neben Freddie Mercury wiedergefunden? Doch dazu später mehr – , zu denen sich auch das fast schon silcherobligatorische „Schätzele“ gesellte. Dazu gab es reichlich Tiersymbolik in „Unicornis Captivatur“, strahlend schön umgesetzt, und schließlich hatte das Publikum noch das Vergnügen an einem ganzen Zoo – und das Vergnügen ist hier ganz wörtlich zu nehmen, denn die „Animal Crackers“ hatten Verse parat wie „Liegt der Panther auf der Lauer, gibt’s gleich Aua“ oder sie beschäftigten sich mit der Herkunft des Lichts am Glühwürmchenpo. Und dieser Spaß spiegelt sich auch in der Musik, die der Universitätschor mit Lust und Laune und großem gesanglichen Können umsetzte. Und mit Effet beendete: Denn da haute der Bumerang nicht nur das besungene Känguru um, sondern auch den Pianisten um Hocker. Der wiederum hatte zuvor bildlich gesprochen mit dem Publikum dasselbe getan und mit seinem „Hummelflug“ ordentlich die Hummeln tummeln lassen.
Wohlig kuschelig
Der Universitätschor aus München überzeugte also voll und ganz mit seinem Können sowohl in den feinen Tönen als auch in großem Volumen und das in Harmonien, die zum Schwelgen einladen. Und von Neuen Kammerchor Heidenheim weiß man ja, dass er all das auch drauf hat. Also wartete das Publikum gespannt darauf, was Thomas Kammel unter dem Titel „ArtVokal“ zusammengestellt hatte. Die Stimmkunst begann ganz sanft: Ganz wunderbar war die besungene Tendresse in „Dirat-on“ zu spüren, in die sich wohlig kuscheln ließ, so zärtlich wie sie vorgetragen wurde.
Schmissig mit reichlich Upbeat
Und es blieb zunächst auch bei den leisen Tönen. Mit „Lullaby“ und „Ballade to the moon“ erklangen zwei Hymnen an die Nacht, die ganz warm uns Herz machen konnten. Direkt ergreifend wurde es mit „Good Night Dear Heart“ und „Let my love be heard“, in denen der Neue Kammerchor den Trauer und Trost bergenden Text sensibel und gekonnt umsetzte.
Stimmlich brilliant
Aber – auch das weiß man – der Neue Kammerchor kann auch anders. Sehr schmissig und mit reichlich Upbeat in der Stimme leitete Stevie Wonders „Superstition“ den Teil ein, der zeigte, dass „ArtVokal“ vor keinem Genre Halt macht. Mit „Water Fountain“ sprudelte klare Frische, flankiert von rhythmischem Klatschen, und mit „Didn’t my Lord“ und den sehr souveränen Solistinnen Viviane Steffens, Emilia Burkhardt und Anna Kiesel wurde auch der Bereich des Gospel gestreift. Das war – auch in der gekonnten Mischung – schon allererste Sahne, die der Neue Kammerchor da offerierte. Und er setzte noch einen drauf: „Bohemian Rhapsody“, Freddie Mercurys Rockklassiker, das zu singen, das ist vielleicht für Freddie Mercury leicht gewesen, für alle anderen, auch Profis, ist es immer eine harte Nuss, die geknackt werden will.
Wechsel am Dirigentenpult
Und jetzt kommt der Kammerchor und denkt sich wohl, „okay, wir haben ihr was richtig Schweres zu singen, lass uns doch noch eine Choreographie dazu machen“. Respekt, den Schneid muss man auch erst einmal haben. Und wer wagt, gewinnt: Die harte Nuss wurde geknackt. Der Neue Kammerchor lieferte, begleitet von Alwina Meissner am Flügel, hier eine unglaublich beeindruckende Performance, stimmlich brillant und mit den Choreographien von Laura Jooß nicht nur ein Hinhörer, sondern auch ein echter Hingucker. Ein krönender Abschluss war das, der natürlich mit dafür sorgte, dass das Publikum noch mehr wollte. Und bekam, und zwar in nochmals einem anderen Genre: Sakrale Chorwerke zeigten die ganze Bandbreite der beiden Chöre und Anna Verena Egger und Thomas Kammel wechselten sich am Dirigentenpult ab.
Das war ein großer Abend für alle, vor allem für das Publikum, das das Konzert in all seinen Facetten rundum genossen hatte. Oder um es in der Fußballsprache zu sagen: Das war wirklich erste Liga. Und gab es einen Sieger? Die Münchener aus der ersten Halbzeit, die Heidenheimer in der zweiten oder gar beide zusammen in der Verlängerung? Man könnte sagen: Es war ein Unentschieden, und zwar ein äußerst torreiches. Wenn es auch so ausgeht, wenn Bayern München kommt, wäre das ja fantastisch.
Marita Kasischke
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