Motette – Junge Stimmen voller Energie: Der Neue Kammerchor Heidenheim besang die schönen Dinge. Während des Stadtfests weicht die Motette traditionell aus der feierumwogten Stiftskirche aus, diesmal in die Johanneskirche. Gut 100 Besucherinnen und Besucher fanden sich ein – ausnahmsweise bereits um 18 Uhr, denn auch vor dem Portal von St. Johannes wartete ein Bühnenpodest schon auf den nächsten Auftritt. Der Motette blieb ein Zeitfenster von genau einer Stunde.
Junge Stimmen voller Energie, jede Stimmgruppe mit klanglicher Fülle und Präsenz, aber immer auch unter Spannung.
Zu Gast war der Neue Kammerchor Heidenheim, den Musiklehrer Thomas Kammel 2005 am dortigen musischen Schiller-Gymnasium ins Leben gerufen hat. Mit hohem, leistungsbewusstem Anspruch. „Goldmedaillen bei Chorwettbewerben füllen bald eine Vitrine“ liest man auf der Homepage des Ensembles, Patenchor des renommierten SWR Vokalensembles sowie der Bachakademie Stuttgart. Professionelle Fernsehauftritte und aufwändig produzierte Videos fürs Internet. Konzertreisen weltweit, in den Pfingstferien erst durch Irland. Am Samstag sang der Kammerchor in einer 45-stimmigen Besetzung zwischen 14 und 20 Jahren. Dunkelblaue Konzertkleider und schwarze Anzüge. Zum Einstieg John Rutters Sakropop-Lobpreis „All things bright and beautiful“: beschwingtes Dur, wie so oft bei Rutter konfliktlos glatt.
Junge Stimmen voller Energie, jede Stimmgruppe mit klanglicher Fülle und Präsenz, aber immer auch unter Spannung. Das Fortissimo kristallin, mit einer leichten Schärfe und Härte. Eindrucksvoll gravitätisch die stufenweise auf- und absteigenden Männerstimmen in Bruckners „Locus iste“. Strahlkräftig und obertonfunkelnd die Soprane in Mendelssohns „Jauchzet dem Herrn, alle Welt“ (mit Solisten-Oktett aus den Chorreihen). Weicher strömten Maurice Duruflés „Ubi caritas et amor“ und Javier Bustos „Ave Maria“. Bei Giovanni Bonatos „Genuit puerpera“ verteilte sich der Chor um die Zuhörer-Reihen herum, hüllte das Publikum ein in ein Geflecht einander ablösender und überlagernder Stimmen.
Mit am harmonischsten verbanden sich die Chorfarben bei zwei russischen Choralsätzen: Rachmaninovs „Bogoróditse Dévo“ („Freude dich, o Jungfrau“) und Nikolai Kedrovs Vaterunser „Otche Nash“, dazwischen Arnold Seviers „Precious Lord“ mit Gospel-Swing und Spiritual-Harmonien. Ein recht bunt gemischtes Programm. Sören Gieselers Arrangement von „Nearer my God to Thee“ kombinierte das Sopran-Solo mit einem Rhythmus-Chor, eine bemerkenswert schmissige, heilsgewisse Vertonung des Textes „In articulo mortis“ („Im Augenblick meines Todes“). Am schönsten klang der Chor zuletzt bei Mendelssohn: „Verleih uns Frieden gnädiglich“ (von Ingo Bredenbach an der Rieger-Orgel begleitet) in leicht zurückgehaltenem Tempo, so dass die farb- und kraftvollen Einsätze und Stimmverläufe durchgängig zur Geltung kamen. Berührend der Doppelchor „Denn er hat seinen Engeln befohlen“ aus Mendelssohns „Elias“ mit empfindungsvoll hervortretenden Mittelstimmen.
Im Anschluss luden Stiftskirchen- und Johannesgemeinde an ihrem ökumenischen Stadtfest- Stand zu Gesprächen mit Menschen aus der Ukraine ein, bei ukrainischen Speisen. Der Erlös geht an Caritas- und Diakonie-Projekte zur Unterstützung von Geflüchteten.
Text: A. Stricker
Schwäbisches Tagblatt vom 11.07.2022
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